Dienstag, 23. Oktober 2012

Blase 3.0

Wissen Sie noch, was im Jahr 2000 geplatzt ist? Keiner hat's kommen sehen, alle waren mit dabei, jeder hatte auf einmal Aktien und dann wollte keiner wahr haben, daß man bei Aktien nicht nur gewinnen kann.
Einfach ausgedrückt war damals das Problem, daß man nicht mit Luft Geld verdienen kann. Wer im Internet oder mit neuen Medien Geld verdienen will, benötigt content - Inhalt, ein Produkt, irgendwas. Nur mit Werbung und clicks (1:05) kann man sich nicht finanzieren und irgendwann bricht ein Schneeballsystem nun mal zusammen.

Zwölf Jahre später haben wir das alles schon wieder vergessen und wir träumen von der schnellen Karriere im Netz ([1], [2], [3], [4]). Pubertierende Kids und Teenager produzieren Selbstdarstellungen und unbekannte selbsternannte oder von unbekannten als solche ernannte "Internetpioniere", "Blogger-Pabste" oder "Klassensprecher" (11:50) wollen mitreden. Wer nicht selber kreativ ist, spielt Fan und jubelt vom Rand aus. Das ganze wird dann auf YouTube (6 Mio. neue Filmminuten/Tag), Twitter (300 Mio. neue Beiträge/Tag) und Facebook (0,7 Mio. neue Nutzer/Tag) in die Welt hinaus posaunt.

Dabei ist die Zukunft schon angessagt: "Social media, bunt, sprunghaft, unkontrollierbar" (0:18). Auch der "Pabst" sollte es besser wissen, hat seine eigene Dotcom-Blasen-Werbeagentur lediglich ein gutes Jahr bestehen können, bevor sie nicht etwa einfach geschlossen wurde, sondern gleich pleite gehen mußte. Denn wie lange wollen sich wohl Jugendliche anschauen, wie sich ihre Klassenkameraden oder "Vorbilder" prostituieren, bevor sie selber auch mitmachen wollen? Schließlich kann man doch bei YouTube toll verdienen - so toll, daß keiner sich traut zu sagen, wie viel. Keiner der Selbstdarsteller ist investigativ genug, um sich zu trauen, mal die eigene "Karriere" zu risikieren und zu sagen, wieviel er gemäß seines Knebelvertrages verdient.
Und bei Facebook und twitter? Hier geht es mehr um die Selbstdarstellung und das Bedürfnis jedem mitteilen zu wollen, daß man gerade auf dem Klo sitzt oder einen Kaffee trinkt. Will das wirklich auf Dauer einer wissen? Kurzfristig ist das bestimmt lustig und die neue Technik verführerisch. Aber es wird kommen, daß wir uns wünschen, mal nicht alles über den anderen zu wissen und auch nicht unter druck stehen, allen die eigene Welt in kurzen Intervallen mitteilen zu müssen.

Auch wer denkt, das geht ewig so weiter. Wie denn? All diese Angebote kosten Geld, sehr viel Geld. Und das muß verdient werden. Arbeitskraft, Technik und Bandbreite müssen mit harter Währung erkauft werden. Und der vermeintliche "Inhalt" soll ja auch an die Nerds vergütet werden - solange sie noch mitmachen. Aber wer bezahlt denn für dies alles? Werbepartner und Data-Mining Firmen. Das hat schon bei Blase 1.0 nicht auf Dauer geklappt. Aber diesmal? Bestimmt. Wir müssen nur alle daran glauben: ganz doll.

Und was machen die Selbstdarsteller in ein paar Jahren? Die Videos, Tweets und Facebookeinträge werden sich nie wieder löschen lassen. Zukünftige Arbeitgeber werden sich freuen, denn so brauchen sie gar keinen Lebenslauf mehr. Egal, wie erfolgreich die Schule abgeschlossen wurde und egal wie seriös das Bewerbungsfoto aussieht: bei Youtube kann ich den Bewerber mit herunter gelassener Hose sehen, seine Sprachkenntnisse in Wort und Schrift sind - positiv ausgedrückt - erbärmlich und seine Weltanschauung paßt auch nicht zur Firma. Willkommen bei Hartz 5.0.

Sollen die doch machen was sie wollen. Was mich wirklich daran stört? So viel vergeudetes Potenzial. Im web gibt es so viele Projekte, die freiwillige Mitarbeiter suchen.
Nur als Beispiel: Viele lassen sich inzwischen mit dem Navi von kostenlosen Karten des OpenStreetMap Projekts führen und jeder kennt die Wikipedia. Jeder liest darin, wenn er was wissen will. Kaum einer schreibt noch was. Dabei ist es wirklich so einfach. Hier muß man sich nicht einmal anmelden und einen Daten-Striptease hinlegen, bevor man mitmachen darf. Wer will, kann aber. Und weiß nicht jeder irgendwas zu einem Thema? Hat nicht jeder ein Foto von irgendwas? Alles wird gesucht. Es reicht schon einen Artikel ein klein wenig zu ergänzen - nur ein Detail, was bisher vielleicht fehlt oder nicht optimal dargestellt wird. Oder ein Foto zu einem Thema. Vor kurzem lief mal wieder ein Aufruf, Baudenkmäler zu fotografieren. Bei den meisten handelt es sich um Wohnhäuser. Hier wohnt jemand, der nur vor die Tür hätte treten müssen. Von jedem Sandwich, das die Leute essen, machen sie Fotos für Facebook. Ein Foto vom eigenen Haus oder dem Denkmal im Park vor der Tür oder einer Sehenswürdigkeit im Urlaubsland schafft keiner. Schade. Wikipedia und Co. leben nicht von Werbung. Sie leben vom sinnvollen Mitmachen und bringen der Allgemeinheit nur Vorteile. Aber das scheint langweilig zu sein, da es ja nicht der Selbstdarstellung dient. Und es ist so viel bequemer nur zu konsumieren und sich darüber zu freuen, daß andere was aufbauen, als einen eigenen kleinen Teil dazu beizutragen - das kann wirklich jeder und sollte auch jeder, der ein solches Angebot nutzt. Beim nächsten Spendenaufruf für so ein Projekt kann man dann auch getrost nicht spenden, denn die investierte Arbeitszeit dürfte höherwertig sein, als jede Summe, die man geben würde.


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