Freitag, 29. März 2013

SpongeBob Schwammkopf - oder die Kunst zu jammern, zu schulmeistern und schlechtes Brot zu essen

Wußten Sie schon, daß in zehn Jahren keine Handwerksbäcker mehr existieren sollen? Wir essen hauptsächlich nur noch industriell hergestelltes Brot und Backwaren aus der Fabrik, die am Fließband gebacken und abgepackt werden oder den Supermarkt als "Teiglinge" erreichen, wo sie dann zum Endprodukt fertiggebacken werden? Wohlgemerkt: fertig- und nicht aufgebacken, wie die Branche stets betont.
Die Kamps Backstuben stehen als moderne Premium Bäckereien für erlebbare Frische und Handwerklichkeit. Sie sind echte Erlebnisbäckereien, in denen unsere Kunden dem Bäcker direkt über die Schulter schauen können.
Zitat: Kamps GmbH

Klar, das Innungsrecht schreibt vermutlich auch dem Großbäcker mit steriler Fließbandproduktion vor, daß er mindestens einen Handwerkmeister beschäftigt. So wird aus Industrieware ein Handwerksprodukt. Fast so gut gemogelt, wie die TK Steinofenpizza, die nie wirklich auf einem Stein gelegen hat. Wissen Sie wie der Bäcker bei Kamps und Co. aussieht, dem Sie über die Schulter schauen können? Es ist die gleiche Kraft, die Morgens aufschließt, dann die Teiglinge aus der Tiefkühltruhe oder dem Trolly holt, am Ofen das richtige Programm einstellt, Ihnen die Sachen in die Tüte packt, das Geld kassiert und abends den Boden schrubbt. Da es sich um keine geschützte Berufsbezeichnung handelt, darf sich Hinz und Kunz so nennen.
Die Medien berichten immer wieder darüber (und deshalb gehe ich davon aus, daß Sie die Eingangsfrage auch bejahen konnten), daß wir Deutsche, die wir doch so stolz auf unsere unübersichtlich große Vielzahl an Backwaren sind, hinter denen sich die Amis mit ihrem schlabberigen Weißbrot nur verstecken können, immer mehr zum Bäckereisterben beitragen, weil wir nur noch billige Produkte in uns hineinstopfen. Im Discounter bekomme ich das Pfund schnittfestes Mehl für unter einem Euro und es hält sich locker sechs Wochen. Weil es aber viel erlebnisreicher wirkt, wenn ich als Kunde mir selbst meine Tüte packe, hat jetzt selbst Lidl auf Pseudo-Frische SB-Theken umgestellt. Aus der Kassiererin wurde über Nacht so auch noch eine, dem Handwerk verschriebene, Premiumbäckerin, der ich beim bestücken des Heißluftofens über die Schulter schauen kann. Nebeneffekt: es riecht herrlich nach frischem Brot im Laden.

Ich bin mir bewußt, wie chemisch aufgepeppt die Backwaren sind und daß es bestimmt einen gesundheitlichen Unterschied zwischen Industriebrot und traditionellem gibt. Allergien durch Enzyme und Unverträglichkeiten bei der Verdauung sind längst bekannt. Jahrelang lebte ich in einem Haus, in dem ein Bäcker seinen Betrieb hatte. Der hat selbst gebacken: Tüte auf, Salz und Wasser drauf, umgerührt und ab in den Ofen. Aber mit Handwerk und Tradition hatte der schon vor mehr als zwanzig Jahren nichts mehr am Hut. In den Papiertonnen landeten die leeren Mehlsäcke und auf denen stand das Rezept drauf, an das der "Bäcker" sich nur halten mußte. So ein Mehlsack ist auf den ersten Blick nicht gerade auffällig. Aber eigentlich sollte da ein Gefahrstoffzeichen drauf - sieht dann nur doof aus. Aber in der Tüte ist nicht etwa nur Mehl drin. Eine endlose Liste an Zutaten, die dann als Hilfsmittel deklariert sind, ist schon fertig untergemischt.
Kostproben gefällig, wie die Industrie diese Mehlmischungen (sogenannte Vormischungen) und Hilfsstoffe anpreist?
Dies gewährleistet eine gute Fließfähigkeit bei gleichzeitiger Stabilität des Teiggerüstes.
Zitat: Kampffmeyer Mühlen GmbH (einer der größten Mühlenbetriebe)

Vormischungen verschiedener Rohstoffe straffen und vereinfachen den Produktionsprozess. KAMPFFMEYER Food Innovation deckt, vom Fertigmehl bis hin zum Konzentrat, die gesamte Bandbreite der Convenience-Stufen ab. Fertigmehle und Konzentrate beinhalten hochwirksame Zutaten, die sich positiv auf Verarbeitungsparameter, Gärstabilität, Gebäckvolumen, Gebäckfrischhaltung und Geschmack auswirken. 

Das traditionelle Verfahren zur Herstellung von aufgeschlagenen Massen ist zeitintensiv, kompliziert und führt nicht immer zum gewünschten Ergebnis. [...] Der geringere Zeitaufwand bei der Herstellung und die Reduzierung des Ei-Anteiles verringern außerdem die Herstellungskosten.
Zitat: Info PDF zu EMCE Sponge (So nennt sich das Emulgatorpulver und deswegen mußte der Einwohner von Bikini Bottom für die Überschrift herhalten) Mühlenchemie GmbH & Co. KG

Wollen Sie jetzt auch Bäcker werden? Kein Problem, denn die Mühlenbetriebe liefern natürlich nicht nur die hochwertigen Rohstoffe, sondern auch gleich die Anleitung, wie sie diese zu einem Einheitsprodukt verarbeiten müssen. Für leckere Roggenbrötchen nehme man:
Weizenmehl Type 550
Roggenmehl Type 1150
Rustikal 20%
Hefe
Wasser
Und mache:
Knetzeit: 5 Min. langsam, 4 Min. schnell
Teigtemperatur: 24-26 °C
Teigruhe: 10-30 Min.
Backtemperatur: Brötchentemperatur
Backzeit: betriebsüblich

Das Geheimnis des Erfolges liegt jetzt nicht mehr in der Kunst des Handwerkers, sondern in den Fertigkeiten der Chemielaboranten, welche die 2 kg Backhilfsmittel Rustikal 20% (auf 10 kg Mehl) entwickelt haben. Oder Sie shoppen einfach bei einem TK Teiglinghersteller und seinen 600 Artikeln. Dann machen Sie sich nicht einmal mehr die Hände schmutzig.

Und ich als Verbraucher? Gerne würde ich ein gutes Brot kaufen. Auch etwas mehr Geld würde ich gerne ausgeben. Aber ich bekomme es einfach nicht mehr. Nirgends in meiner Gegend gibt es einen Bäcker, der noch wirklich nur mit traditionellen Rohstoffen und jahrzehntealtem Sauerteig backt. Vielleicht gibt es noch einen Biobäcker. Aber Bio heißt noch lange nicht, ohne trickreiche Hilfsmittel, die sind alle Bio, da gibt es keinen Zweifel. Und ob der Zucker von glücklichen Rüben stammt, das Salz koscher abgebaut wurde und das Fett handgeschöpft wurde oder nicht, ist mir egal. Ist der Kunde nun an dem Bäckersterben und dem Rückgang von Qualität und Vielfalt Schuld oder der Anbieter? Wenn ich sehe, daß der "Bäcker" (bzw. dessen Verkaufsmitarbeiterinnen) vor Ort sich montags einen Ruhetag und mittags eine Pause gönnen kann, dann frage ich mich, ob ich für seine Produkte nicht noch immer zu viel bezahle oder ob er einfach nicht weiß, was er mit der vielen Zeit anfangen soll, die er Dank der vielen Helferlein aus dem Labor eingespart hat.