Samstag, 15. Juni 2013

Hochwasser 2013: Ein Einsatzbericht

Das Hochwasser in Deutschland hält Anfang Sommer 2013 alle in Atem. Erst regnet es ewig und heftig und dann ist es so weit und die Flüsse treten über die Ufer. Wer Schuld daran ist, was alles hätte vorher besser gemacht werden können, was wir daraus lernen und wie es den Betroffenen ergeht, ist bereits viel besprochen worden und wird noch lange Thema sein. Ebenso wie die Erkenntnis, daß die versprochenen Milliardenhilfen nicht etwa bei den "Opfern" ankommen wird, sondern auch bei den Katastrophenschutzeinrichtungen landen wird, denn irgendwer wird die Sandsack-, Diesel-, Transport-, Verpflegungs- und Unterbringungskosten, Verdienstausfälle bei den Helfern und Schäden an eingesetztem Material und Landschaft bezahlen müssen.
Hier will ich die Gelegenheit nutzen und die Katastrophe aus meiner Sicht, der eines freiwilligen und ehrenamtlichen Helfers beim THW, schildern.

Samstag, 1.6.2013
Heute ist normaler Ausbildungstag. Seit Tagen spitzt sich die Lage im Süden und Osten zu und die ersten Gerüchte machen die Runde, daß auch wir mit der Fachgruppe Wasserschaden/Pumpen, wohl demnächst ausrücken werden.

Sonntag
Überraschend wurde der für Mittwoch angesetzte Termin zur Überprüfung und Verlastung der Technik und Herstellung der Einsatzbereitschaft auf Heute vorverlegt. Mit viel Elan und zahlreichen Anekdoten aus vergangenen Hochwassereinsätzen wird alles fertig gestellt. Die Gerüchteküche kocht und spricht von Wittenberge als Zielort. Immerhin ist der dortige THW Ortsverband mit dem unseren enger befreundet und man kennt sich gut. Sonntag wurde schon in fiebriger Erwartung geplant, wer wo schläft und von wem wir bekocht werden und vom wem besser nicht.

Montag bis Donnerstag
Jetzt soll es jeden Tag losgehen. Genaues weiß keiner. Währenddessen sehe ich tagsüber immer wieder im Fernsehen Berichte über die zunehmenden Wassermassen und ärgere mich darüber, hier zu sitzen und abwarten zu müssen, während die Feuerwehren und die Bundeswehr, sogar niederländische Einheiten, sich aktiv beteiligen und im Einsatz helfen. Es scheint so, als würde jeder gebraucht, der anpacken kann. Wieso also sind wir nicht längst irgendwo unterwegs? Aber ruhig, die Katastrophe wird noch tage-, wochen- und vermutlich sogar monatelang anhalten und auch wir kommen noch zum Zuge. Immerhin ist dies die Situation, für die wir ausgebildet wurden, Technik bereithalten und der Grund, warum man sich als Helfer bei einer Katastrophenschutzbehörde engagiert: man will helfen, wenn Not herrscht. Die Geduld wird aber auf eine harte Probe gestellt und die Erkenntnis, daß wir als Teil einer großen Organisation nicht einfach losstürmen können, sondern darauf warten müssen, daß die Führungskräfte uns gezielt einsetzen werden, hilft nur wenig. Abends kommt mal wieder eine SMS vom Ortsbeauftragten. Wie schon an den vorherigen Tagen werden wir vertröstet und gleichzeitig aufgefordert Bereit zu sein, es könne jeden Augenblick losgehen - aber wohl erst am Montag.

Freitag
Am Nachmittag wieder eine SMS: Alarm, jetzt geht es los. Also schnell die Tasche gepackt und auf zum Ortsverband. Dort herrscht eine Mischung aus Chaos, Hektik und Ruhe vor dem Sturm. Es wird gepackt, festgelegt, wer wo mitfährt, ein paar Lebensmittel werden jetzt noch gekauft und dann geht es los: Nicht nach Wittenberge im Nordwesten, sondern in den Süden nach Schweinitz bei Jessen. Auch gut; hier waren einige Helfer schon 2010 beim Hochwasser. Man kennt sich. In dem Fall zwar die Feuerwehr, aber immerhin. Nach ein paar Stunden sind wir in Jessen und warten auf weitere Befehle. Es gibt zwar keinen Arbeitsauftrag aber die Anweisung, uns in der Turnhalle in Schweinitz einzuquartieren. Kurzerhand wird beschlossen, bei der Feuerwehr vorbeizuschauen und dort zu nächtigen. Die eine Fahrzeughalle wird leer gemacht und wir schlagen unsere zwölf Feldbetten auf. Bei den Kameraden der Feuerwehr glüht natürlich schon der Grill und kurz danach hat jeder die obligatorische Bratwurst in der Hand. Getränke sind auch da, was will man mehr?
Kurz vor dem dunkel werden wird noch ein Spaziergang zur Elster gemacht, wo andere THW Kräfte einen Kanal auspumpen, weil das Schöpfwerk dies nicht mehr schafft. Ein kurzer Plausch und noch ein Blick auf den Deich, der gerade ausgebessert wurde, als das Wasser kam und es geht zurück zur Wache.

Während die meisten anderen sich auf einen gemütlichen Abend in der Fahrzeughalle nebenan vorbereiten, lege ich mich auf mein Bett. Ich will ein wenig zur Ruhe kommen, nach Trinken ist mir gerade nicht und wenn es Morgen richtig zur Sache kommen sollte, will ich halbwegs fit sein, die Nacht wird sicher nicht ganz erholsam. Im Halbschlaf bekomme ich mit, wie einzelne Kameraden immer wieder hereinkommen und zur deponierten Rum- und Colaflasche greifen, um sich nachzuschenken bis irgendwann alle auf einmal in der Halle stehen, auch ins Bett fallen und ein Schnarchkonzert beginnt, an dem ich mich gegen Morgen auch kräftig beteilige.

Samstag
Während ich Kaffee koche, kommt das Frühstück in Form von Lunchpaketen. Nach dem Essen geht es los: Wir sind nach Vockerode verlegt worden, weil es hier für uns doch nichts zu tun gibt und wir dort gebraucht werden. Also 50 km durch den Fläming gen Westen nach Sachsen-Anhalt. Der Wessi kennt diese Elbbrücke der heutigen A9 meistens aufgrund der einprägsamen Leuchtreklame "Plaste und Elaste aus Schkopau" zu DDR-Zeiten und dem markanten Kraftwerksbau mit seinen Schronsteinen.
Nach kurzer Irrfahrt stehen wir bei eben diesem alten Kraftwerk und die Führung kontaktiert die Einsatzleitung. Währenddessen erlebe ich, wie gelassen, frohen Mutes und mit viel Elan die hiesige Bevölkerung sich selber hilft. Schon gestern fragten uns zwei Frauen, kaum waren wir in Jessen stehen geblieben, wo sie denn Sandsäcke schleppen könnten. Hier sind bereits tausende von Säcken befüllt und zahllose Helfer stehen im Schatten, kommen und gehen und warten auf irgend etwas. Da kommt es: der nächste Laster mit Sand. Kaum ist dieser abgekippt, schnappen sich die Leute Schaufel und Säcke, bilden eine Kette und befüllen ohne Aufforderung in einem erstaunlichen Tempo die Säcke, reichen sie weiter und dabei reden und lachen sie sogar. Der Sand ist schneller weg, als er nachgeliefert werden kann.
Von Katastrophenstimmung, Wehklagen oder Hoffnungslosigkeit keine Spur. Gut, hier herrscht nicht das ganz große Hochwasser. Aber einige Flächen und Keller sind schon geflutet, die Kanalisation ist voll, die Toiletten funktionieren nur noch halb. Wir werden erst einmal zur Feuerwehr hereingebeten und auf Kaffee und Brötchen eingeladen.
Anschließend geht es zur Einsatzstelle. Unsere Aufgabe wird es sein, einen Graben abzupumpen und das Wasser in den bereits gefluteten Polder dahinter zu leiten. Bei starker Hitze bauen wir unsere große Pumpe (5.000 l/min) und sechs weitere kleinere Elektropumpen, die zusammen noch mal etwa die gleiche Leistung bringen, auf. Ein paar der E-Pumpen wollen nicht so ganz mitspielen und alle sind mit guten Ratschlägen zur Hand. Unser Elektriker zückt das Werkzeug, fummelt eine Weile und bringt die Sache dann irgendwie zum laufen. Was der Fehler war, erfahre ich leider nicht. Aber das geht mich wohl auch nichts an, denn eigentlich gehöre ich ja eh zu einer anderen Fachgruppe.
Nach dem alles in Betrieb ist, kehrt langsam etwas Ruhe ein und die Erschöpfung macht sich bemerkbar. Einige braten in der Sonne, andere verziehen sich unter die Autobahnunterführung wo es zwar kühl ist, aber merkwürdig lästige große Flugviecher sich auf einen niedersetzen. Mein Vorschlag, weitere Fahrzeuge in den Schatten zu fahren, wird kategorisch abgelehnt. Und wie kann es anders sein: Schon kommt ein Privat-Pkw und bringt die Versorgung: Getränke lehnen wir inzwischen fast ab, da wir reichlich Vorrat haben. Dafür schmeckt die Gemüsesuppe aus der Sternehotelküche um so besser. Abends geht es so weiter: Berge von Brötchen, frisches Obst und Kaffee werden vom netten Cateringteam gebracht.
Gegen Abend kommt eine Feuerwehreinheit und baut ihre Hydraulikpumpe auf, um ebenfalls den Pegel im Kanal abzusenken. Man beäugt sich gegenseitig, bleibt aber doch mehr oder weniger unter sich.
Es wird Zeit, die Schlafmögichkeiten zu eruieren, zumal beim Packen darauf verzichtet wurde, ein Mannschaftszelt mitzunehmen. Wir haben Glück: Wer auch immer, hat uns Zimmer in einer Pension zugewiesen. So können wir in Zweibettzimmern schlafen, haben eine einfache Dusche und WC. Die Pension verströmt zwar noch den Charme vergangener DDR-Zeiten und es würde nicht wundern, wenn Wilhelm Pieck oder Honnecker einen aus einem Foto an der Wand her anschauen würden. Dafür ist die Herbergsmutter redlich bemüht und kümmert sich fürsorglich um uns. Schnell sind die drei Wachsschichten festgelegt und wer kann, haut sich aufs Ohr. Ich darf von 22 bis 6 wach bleiben, ab und zu nach dem Rechten schauen, ob genug Treibstoff da ist und alles läuft. Irgendwann fallen mir dann doch die Augen zu und ich bin froh, daß wenigstens einer meiner Kameraden wach geblieben ist.

Sonntag
Um sechs frühstücken, duschen und dann bei hellstem Sonnenschein einschlafen ist nicht gerade mein Ding. Lange liege ich im Halbschlaf und versuche, mit einem Handtuch meine Augen abzudecken. Am frühen Nachmittag mache ich mich dann doch fertig und zusammen mit den anderen beiden fahren wir zum Einsatzort. Das Mittagessen ist natürlich kalt, doch warm war es bestimmt lecker. Aber es sind auch noch Brötchen, Kaffee und Obst da. Es hätte um einiges schlechter sein können und wäre dann immer noch in Ordnung. Viel zu tun gibt es nicht. Seit dem wir mit dem Aufbau fertig sind, steht unser fast leerer MLW4 mehr oder weniger ungenutzt herum und könnte doch eigentlich für Transportaufgaben (Sandsäcke etc.) genutzt werden. Die Jungs (und Mädels) von der Feuerwehr haben irgendwann in den Morgenstunden ihre Pumpe bereits wieder abgebaut, so daß wir wieder alleine sind. Gespannt schauen wir immer wieder auf die Pegelmeßlatten, die wir anfangs gesetzt hatten, aber es tut sich rein gar nichts. Zweckoptimismus macht sich breit: Immerhin steigt der Pegel auch nicht.
Kurz vor meinem Eintreffen rückte die Feuerwehr aus Vockerode an und installierte ihre Pumpe. Ein Viertonnenmonster mit eigenem Aggregat für das extra ein Schlepper mit Frontlader kommen mußte, um das Ding zu versenken. Die Schläuche lassen unseren F-Schlauch wie Spielzeug aussehen und dürften an die 30 cm Durchmesser haben.
Kaum läuft das Ding ein paar Stunden, senkt sich der Pegel im Kanal deutlich - und das, obwohl es den ganzen Tag über immer wieder regnet und nieselt. Für die Moral der Truppe - vor allem auf Seiten der Führung - ist das nicht gerade optimal. Ist man doch eigentlich so stolz auf die eigene Leistungsfähigkeit. Egal denke ich mir: Wer kann, der kann und ist doch gut, wenn es hier jetzt so deutlich voran geht. Dann freuen sich die Anwohner und wir sind frei für neue Aufgaben.
Praktisch, daß das Stromaggregat permanent läuft, denn so können die verschwitzten oder vom Niedelregen klammen Shirts und Jacken immer wieder in der Abluft getrocknet werden. Der Dieselgeruch, den die Klamotten dabei annehmen, stört nicht weiter.
Abends und nachts wird dann immer mehr zwischen den Führungskräften getuschelt, Politik gemacht und auf den Pegelstand geschielt. Aus irgendeinem Grund läuft unsere große Pumpe dann stundenlang nur noch mit minimaler Drehzahl/Förderleistung und auch bei den kleineren Modellen werden einige abgeschaltet. Angeblich, um den Pegel nicht so weit abzusenken, daß die Pumpe der Feuerwehr trocken liegt - wobei wir davon noch ein ganzes Stück entfernt sind. Beim Getuschel geht es wieder mal um Wittenberge. Daß ein Fachberater von uns jetzt dort ist, daß die nicht glücklich sein werden, wenn wir nicht kommen und daß man sich hier doch eigentlich ganz wohl fühlt und es an einem neuen Einsatzort viel schlechter sein kann. Mich beschleicht das Gefühl, daß unsere Leute nicht ernsthaft fertig werden wollen. Je länger sie hier bleiben, desto wahrscheinlicher seien die Chancen, gleich nach Wittenberge verlegt zu werden und nicht etappenweise flußabwärts ziehen zu müssen. Behagen tut mir diese von mir vermutete Einstellung, nicht wirklich aber ich weiß ja offiziell gar nicht über die wahren Hintergründe Bescheid und ändern könnte ich auch nichts. Während sich die Tagschichten zurückziehen, schlage ich mir die Nacht mit Fernsehen und lesen um die Ohren. Bei der Gelegenheit kann ich auch mal all die Einwegplastikflaschen sammeln, die in den letzten Tagen überall angefallen sind.

Montag
Die Meldung des Tages lautet: eine THW-Einheit wird kommen und neben der Autobahn Wasser abpumpen und in "unseren" Graben leiten. Die Führungsriege schlägt sich frohlachend auf die Schulter und prahlt damit, was für echte Kerle sie seien, weil sie bei der Einsatzbesprechung durchgesetzt hätten, daß die Autobahn deshalb in der Baustelle über unserem Einsatzort gesperrt wird. Es soll einen riesigen Stau geben und der Ortsvorsteher ist auch schon gespannt und wird zu Hause Nachrichten und den Verkehrsbericht abhören, um mitzubekommen, was bei uns so (nicht) läuft. Wie sich herausstellt, wird dann doch nur eine Spur gesperrt und eine bleibt frei. In brütender Hitze laden die Kameraden ihre Schläuche ab und bauen die Strecke auf. Unsere große Aufgabe besteht darin, den Auslauf in den Graben zu befestigen. Irgendwie schaffen wir es, damit mehr als eine Stunde beschäftigt zu sein.
Jetzt wo wieder mehr Wasser ankommt, läuft die große Pumpe wieder deutlich schneller. Auch wenn die anderen noch immer abgeschaltet bleiben. In der Zwischenzeit sinkt der Pegel im Polder deutlich durch natürlichen Abfluß und es wird klar, wie die Fläche, die gestern noch wie ein See aussah, von Feldern und einem Weg durchzogen wird.

Die Nacht kommt und die Tagesschichten genießen ihr Feierabendbier bzw. testen, ob auch in ihnen ein echter Captain steckt. Ich zähle die Stunden und halte mich mit Internetsurfen (ich bestelle einen Versand-Blumensttrauß für meine Tochter), spazieren gehen, lauwarmen Kaffee und lesen wach.

Dienstag
Ich liege erst ein paar Stunden im Bett, als heftig an die Tür gepoltert wird: Aufstehen, es geht los! Wir sind hier fertig und müssen abbauen. Also schlaftrunken zum Ort des Geschehens und das Material aus der eklig braunen Brühe ziehen und verlasten. Aufgrund der nicht zu vermeidenden Leckagen ist der Boden aufgeweicht und ein Lkw fährt sich fest. Wer, wenn nicht wir, kann das lösen? Also mit Ketten und zweitem Lkw schnell ein wenig ziehen und alles ist bereit. In der Pension gehen wir noch mal duschen, packen unsere Sachen und bringen noch schnell die Bierzeltgarnituren zur Feuerwehr zurück. Mit Kuchen zum Abschied hatten wir ja schon gerechnet. Aber es wird uns ein großes Tablett mit frischen Waffeln in die Hand gedrückt und eine gute Fahrt gewünscht. Das wir jetzt keinen weiteren Auftrag haben, sondern zurück zum Ortsverband fahren, behalten wir wohl lieber für uns. Am frühen Abend sind wir dann wieder daheim und warten auf den nächsten Auftrag.

Freitag (Nachtrag v. 17.6.13)
Wieder eine Alarm-SMS. Nach dem Eintreffen im Ortsverbad stellt sich aber heraus, daß wir nicht selber ausfahren, sondern ein Hubschrauber (Transporthubschrauber AS 332 L1 Super Puma) der Bundespolizei auf dem Hof landen wird, um Material mitzunehmen. Die Verantwortlichen wirken etwas überdreht angesichts dieser nicht alltäglichen Aktion. Nach anfänglichen Schwierigkeiten, uns zu finden (er landete wohl zuerst im Stadtgebiet, was angesichts von GPS in fast jedem Handy schon irgendwie peinlich ist, immerhin sollte es doch möglich sein, unsere genauen Koordinaten zu nennen), landet die Crew dann doch bei uns. Also verladen wir fünf mobile Elektrotauchpumpen und ca. 40 Schläuche. Jetzt steht uns im Grunde nur noch die große Pumpe zur Verfügung, sollten wir doch noch für Hilfeleistungen angefordert werden. Wann und ob wir das ausgeflogene Material wiedersehen, ist ungewiß. Wahrscheinlich wird es im Eifer des Einsatzes "verloren" gehen.


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